Nicht drücken
erschienen im oetinger Verlag
Wenn plötzlich durchgeknallte Blondinen in schrill-bunten Kimonos auftauchen, sich in kryptischen Andeutungen über die nahe Zukunft ergehen, kompletten Blödsinn reden und dann sogar in der Schule auftauchen (nachdem sie die Physiklehrerin im Klo eingesperrt haben) und dort noch mehr ausgemachten Quatsch reden … dann wird wohl bald etwas Außerordentliches passieren!
Siri nicht gerade das typische Mädchen: Sie spielt gerne Fußball, zieht Sciene Fiction-Romane Liebesgeschichten vor und und hat schon früher ihre Barbies lieber mit dem Brotmesser operiert als ihnen bunte Kleidchen anzuziehen. (Kann ich, die Lucy, natürlich total verstehen – vor allem die Barbie-Brotmesser-Sache!) Ihre Familie findet, sie sei irgendwie viel zu jungenhaft geraten – allen voran ihre hübsche Kosmetikerinnen-Tante Petra, die Siri mit Glamour-Beauty-Schminksets und Modetipps zu mehr Weiblichkeit verhelfen will. Klar, dass Siri davon wenig begeistert ist. Einzig auf gleicher Wellenlänge mir Siri ist ihre beste Freundin Ivana, die sie so akzeptiert, wie sie ist.
Ole hängt in der Schule mit seinen Freunden Jan und Tarik ab – mit echten Kerlen: Fußballspielen, Coolsein und über Mädels ablästern ist angesagt. Dass Ole Mädchen eigentlich ganz O.K. finden – allen voran Siri aus seiner Klasse – und ein Riesenfan der täglichen Mädchen-Soap „Glamour High“ ist, würde er vor seinen Kumpels natürlich niemals zugeben! Aber eigentlich findet er es total blöd, dass zwischen Jungs- und Mädchen-Sachen unterschieden wird und nicht jeder einfach so sein kann wie er will.
Und ausgerechnet auf Siri und Ole haben sie es abgesehen: Die geheimnisvollen Kimonofrauen, die behaupten, zwar drei Schwestern, aber Zwillinge zu sein. Die Begegnungen mit den völlig albernes und abgedrehtes Zeug plappernden Kimono-Zwilldrillingen, die ankündigen, dass in 48 Stunden etwas Großes geschehen werde, beschäftigt die beiden Kinder mehr, als sie sich eingestehen wollen. Was wird wohl in zwei Tagen passieren?
Sie bekommen Päckchen – Siri ein ganz kleines, Ole ein riesiges – zugestellt: Der Inhalt ist der gleiche: je ein kleines Kästchen mit roten Knopf darin. Dazu ein Zettel: NICHT DRÜCKEN! Während Siri und Ole noch überlegen, macht Freundin Ivana kurzen Prozess, drückt (Hätte ich, die Lucy, natürlich auch gemacht!) und – es macht: „Plöpp“. Und sonst? Passiert nichts. Zunächst einmal.
Aber am anderen Morgen steht die Welt buchstäblich Kopf: Mädchen benehmen sich wie Jungen; Jungen wie Mädchen; Männer wie Frauen, Frauen wie Männer. Katzen kläffen Passanten an, während die aggressive Dogge des Nachbarn buckelnd und schnurrend um Siris Beine streicht. Typisch Mädchen? Spielen mit Vorliebe Fußball, sind ungestüm, rüpelhaft und raufen gern! Jungs? Zicken herum, machen sich nicht gern schmutzig und sind viel zarter als die groben Mädchen. Bei ihnen dreht sich alles um das typische Jungszeug: Schminken, Schuhe, Kleidung und … kicher, kicher: Die tollen Mädels … . Die einzigen, die normal geblieben sind, sind Siri, Ivana und Ole. Und die drei wissen überhaupt nicht, was sie von diesen Entwicklungen halten sollen: Siris Tante Petra verwandelt sich von der Kosmetikfee zur rülpsenden Tattoostecherin, die Siri natürlich auch nicht länger mit Make-up-Tipps behelligt – das ist ganz angenehm, aber irgendwie auch befremdlich und so gar nicht Tante Petra. Oles Vater, der Geschäftstermine bislang immer wichtiger fand als die Verabredungen mit seinem Sohn, hat sich in ein treusorgendes Vatertier verwandelt, das den Sohn verhätschelt und betüdelt, während Mama plötzlich einen Fernsehabend mit Chips und Champions League für das Größte hält. Was zwar im Prinzip klasse ist – aber irgendwie fehlt ihm auch seine liebevoll fürsorgliche Mama – und Papa machte sich vorher zwar rar, war aber viel lustiger. Und die Kinder selbst: Siri erlebt sich in der ungewohnten Rolle des „weiblichsten“ aller Mädchens, während Ole im Vergleich zu seinen Kumpels ungewohnt kerlig (nach neuer Definition also geradezu mädchenhaft) abschneidet. Aber besser als vorher fühlt sich das eigentlich auch nicht an.
Dass hinter dem ganzen Spuk die drei Kimonofrauen stecken, ahnen Siri, Ole und Ivana von Anfang an; und mit Hilfe ihres Lieblingslehrers Herrn Pulawksi, der in seiner Kindheit seine ganz eigenen Erfahrungen mit den Kimonofrauen gemacht hat, bringen sie nach und nach in Erfahrung, was ihre eigene Rolle in dem ganzen Spiel ist. Ausgerechnet ein Fußballspiel „Jungen gegen Mädchen“ soll es entscheiden: Besiegen die Jungs die Mädchen, wird alles wie früher, ansonsten bleibt alles so wie es ist. Eine fast unmögliche Aufgabe, denn die Mädchen spielen nicht nur lieber und besser Fußball, sie bekommen auch noch Profi-Unterstützung von den drei Kimonofrauen; während Siri, Ivana und Ole sich mit einem lustlosen Haufen unsportlicher Ball-Legastheniker mit zwei linken Beinen herumschlagen, die beim besten Willen nicht einsehen, warum es erstebenswerter sein sollte, den Ball ins gegnerische Tor zu schießen als in hübschen Trikots perfekt auszusehen!
Wird es ihnen gelingen, den „Normalzustand“ wieder herzustellen? Es wird spannend …
Es macht ja grundsätzlich Spaß, wenn Klischees total überzeichnet und auf den Kopf gestellt werden: Die Schilderungen von oberkerligen Omas, macho-kumpeligen Mamas, albern gackernden, geschminkten Teenagerjungs, einfühlsamen Bauarbeitern und anderen harten Kerlen, die plötzlich mit Strähnchen im Haar auf hohen Hacken durch die Gegend tänzeln, haben mich mehr als einmal in lautes Gelächter ausbrechen lassen. Und die verrückten Kimonofrauen (die übrigens auch noch in anderen Büchern von Gernot Gricksch vorkommen) sind einfach nur abgefahren! Aber wie bei so vielen richtig guten Büchern ist das alles nicht nur ausgesprochen komisch, sondern regt auch ernsthafte Themen an, die uns grundsätzlich, aber gerade auch auf dem Weg zum Erwachsenwerden beschäftigen: Wieviel ist eigentlich dran an den Klischees von typisch „weiblich“ und „männlich“? Wie „typisch“ sind wir selbst – wie entscheidend für unser Identitätsgefühl ist das eigentlich und wie sehr beurteilen wir andere danach? Wo bin ich selbst „total Mädchen“ und wie wichtig ist das für mich? (Bei uns drei Handpuppen hier ist das ja so verteilt: Die Pimpi spielt total gerne mit Barbies und ist sowas von das totale Mädchen, wie es im Buche steht, während die Kuni voll die Skateboard-Sportskanone ist und bis auch ihre Zöpfe auch voll wie ein Junge aussieht. Ich selbst, die Lucy, bin irgendwo dazwischen. Barbies finde ich blöd, aber mein Kleidchen ist natürlich viel hübscher als Kunis Latzhose. Die Pimpi ärgern wegen ihrer Barbies tun Kuni und ich beide. Oder meine Mama? Die trägt hat zwar lange Haare und trägt immer Kleider mit Blumen oder sonstigen wilden Mustern, aber benimmt sich ganz oft überhaupt kein bisschen weiblich … )
Lucys Fazit: Interessant, superlustig und spannend erzählt! Für Mädchen und Jungen gleichermaßen geeignet: Lucys unbedingte Leseempfehlung!
Lucys Gesamturteil: ☺ ☺ ☺ ☺ ☺
Die harten Fakten: oetinger Taschenbuch, 256 Seiten, zu haben für gut investierte 6,99 Euro