Lieblingsbücher 2: Die schrecklichsten Mütter der Welt

 

Die schrecklichsten Mütter der Welt
von Sabine Ludwig

erschienen im oetinger Verlag


Was macht eigentlich eine schreckliche Mutter aus? Und wie wäre es, wenn an ihre Stelle einfach mal eine richtig nette Frau träte, die einem alle Wünsche von den Augen abliest und einen nicht mit lästigen Anliegen von Hausaufgaben über Haarewaschen bis zu Ins-Bett-Gehen behelligt? Wäre dann alles gut? Und falls das noch nicht die ideale Lösung sein sollte: Kann man wenigstens die eigene Mutter durch Erziehungmaßnahmen optimieren?

Bruno hat’s schwer: Ständig muss er zum Klavierunterricht, Üben, Üben, Üben bestimmt seinen Alltag. Dabei würde er viel lieber in den Boxverein gehen! Geht aber nicht, denn das wäre ja viel zu gefährlich für kostbare Pianistenhände! Denn zumindest eine glaubt, dass in Bruno ein begnadeter Musiker steckt: Seine Mutter. Auch wenn sie mit ihrer Meinung doch ziemlich allein dasteht. Weder Brunos Proteste noch die vorsichtigen Versuche der jeweils beauftragen Musikpädagogen kann sie von ihrer Überzeugung abbringen, dass in Sohn ein musikalisches Genie steckt.

Auch Emily hat allen Grund zur Klage: Sie lebt allein mit Mutter zusammen; Papa ist vor einiger Zeit ausgezogen, hat jetzt eine neue Frau und ist nur noch selten für sie da. Auf ihre Mama allerdings kann Emily kaum zählen: Kochen kann sie nicht, Bügeln erst recht nicht, den Haustürschlüssel hat sie auch nur selten parat, steht ein dringender Termin wie ein Vorstellungsgespräch an (denn chronisch pleite ist sie selbstverständlich auch!), hat sie garantiert vorher vergessen, den Wagen zu betanken. Im Supermarkt steht sie ohne Portemonnaie an der Kasse, hat aber auf dem Weg dorthin bereits einen Apfel verzehrt (den sie, wen wundert’s, vorher nicht ordnungsgemäß abgewogen hat), sodass ihre Tochter sie dort auslösen muss. Emily liebt ihre Mutter, aber manchmal fragt sie sich wirklich, wer hier eigentlich auf wen aufpasst. Als ihre Mutter auch noch die heißgeliebte Bluse, die Papa ihr geschenkt hat, viel zu heiß wäscht und total versaut, hat Emily endgültig die Faxen dicke.

Auch Sofia fühlt sich zu Hause durch und durch unverstanden: Schlimm genug, dass sie alle Höhen und Tiefen eines Teenagerdaseins durchlebt, sie sich zu dick und ihre Haare unmöglich findet: Nein, zu allem Übel hat sie auch ihren kleinen Halbbruder Niklas am Hals, der sie nie in Ruhe lässt und ständig nervt – aber klar: alle anderen halten diesen kleinen Satansbraten für ein entzückendes Engelchen, allen voran ihre Mutter. Logisch, dass auch allein sie immer an allem schuld ist, und dass Niklas ständig bevorzugt und in Schutz genommen wird. Ungerecht ist das!

Alle drei Kinder stoßen auf eine Anzeige „Gesucht wird: Die schrecklichste Mutter der Welt“ und die Website www.schreckliche-Muetter.de, bewerben sich dort und machen ihrem Ärger einmal so richtig Luft. Kurze Zeit darauf sind ihre Mütter verschwunden, stattdessen ist Ersatz da: Bei allen Kindern taucht eine „Tante Anna“ – blond, blümchenberockt, weißbeblust mit hellblauer Strickjacke – und immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Mit Tante Anna wird alles besser: Bruno darf zum Boxen gehen und ist ab sofort vom Klavierüben befreit, Emily kann sich an stets frisch gebügelten Klamotten und zuverlässig servierten Mahlzeiten erfreuen und Sofias Tante Anna scheint gegen Niklas‘ Kleinejungs-Charme völlig immun und widmet stattdessen Sofia ihre ganze Aufmerksamkeit. Soweit so gut? Natürlich nicht. Es dauert nicht lange, und den Kindern wird klar, dass mit den Annas ganz gewaltig etwas nicht stimmt. (Aber ich will hier nicht zuviel verraten, das solltet ihr schon selber lesen! Das ist nämlich total lustig.) Was noch viel wichtiger ist: Alle Kinder merken, dass die Erfüllung ihrer Wünsche auch nicht das Allertollste ist. Bruno genießt das Leben ohne Regeln weit weniger als erwartet, Emily plagt heftige Sehnsucht nach ihrer Mutter und in Sofia wachsen ungeahnte große-Schwester-Gefühle, als sie ihren kleinen Bruder unter Tante Anna leiden sieht. Die drei machen sich unabhängig voneinander auf, ihre Mütter zu suchen und dem Tante-Anna-Geheimnis auf den Grund zu gehen.

Was mit den Müttern passiert ist? Die sind, zusammen mit etwa 20 anderen, in „Wohlfarths Mütter-Verbesserungs-Anstalt“ (WMVA) auf einer kleinen Nordseeinsel namens Nordfall gelandet. Auf dem Gelände einer ehemaligen Spielzeugfabrik hat sich Ex-Firmenchef Walter Wohlfarth einem höheren Ziel verschrieben: die schrecklichsten Mütter der Welt zu guten Müttern umzuerziehen. Das Team den Anstaltsgründer ist bunt zusammengewürfelt: Der geniale Erfinder und Spielzeugentwickler a. d. Kruschke, der die lebensechten Tante-Anna-Roboter entwickelt hat, Sekretärin Ramona, die heimlich in ihren Chef verliebt ist und ihm zuliebe jede Aufgabe übernehmen würde, der ehemalige Chauffeur Sven-Ole, der ständig derbe Witze reißt, über die nur er selbst lachen kann und die gutmütige Haushälterin Wiebke Paulsen. Der tägliche Unterricht an der WMVA umfasst neben Theorie-Unterricht zum Thema Kindererziehung auch Nachhilfe-Unterricht im Sandburgenbauen, Papierflieger-Basteln und Gute-Nacht-Geschichten-Erzählen, ebenso wie Unterweisung in praktischen Fragen der Haushaltsführung wie der Zubereitung gesunder Mahlzeiten, Hosen flicken und Bügeln. Klar, dass in den letztgenannten Disziplinen gerade Emilys Mutter Suse stets als Schlechteste abschneidet, während Sofias Mutter in den Disziplin „Einfühlsamer Umgang mit Teenagern“ Nachholbedarf hat. Brunos Mutter, genannt die „Strebermutter“, ist in allen Disziplinen Klassenbeste – als Streberin aber auch nicht gerade sympathisch.

Dennoch: Alle Mütter machen eifrig mit, weil sie sich in ihren Mutterqualitäten unbedingt verbessern wollen – denn die „schrecklichsten Mütter der Welt“ wollen sie keinesfalls sein!

Als Bruno, Emily und Sofia mit Niklas auf Nordfall eintreffen, wird’s richtig spannend, denn der Tante-Anna-Erfinder Kruschke ist noch ein bisschen durchgeknallter als der Rest der Truppe – so gibt’s zum Schluss sogar noch einen aufregenden Showdown.

Soweit die Geschichte, die immer wieder sehr lustig und spannend erzählt ist und viele originelle Charaktere vorstellt. Sie hat aber auch einen wirklich ernsthaften Kern: Und wie schrecklich können schon Mütter sein, die freiwillig die Schulbank in der WMVA drücken und zum Sandburgen-Bau-Kurs anrücken, um bessere Mütter zu sein? Die Mütter in der Geschichte jedenfalls nehmen ihren Kindern zuliebe ja doch so einiges auf sich! Und auch die Kinder kommen ja selbst recht schnell darauf, dass ihre Mütter zwar nicht immer alles richtig machen, aber sich doch alle Mühe geben.

Und haben nicht alle unsere Mamas irgendwelche Macken? Meine Mama zum Beispiel, die hat einiges mit der Heulsuse gemeinsam, mit Brunos Mama sowieso, und vernachlässigt zugunsten des sogenannten richtigen Kindes werde ich auch! Ich finde sie auch manchmal ganz furchtbar, wenn sie mich zum Lateinüben zwingt zum Beispiel, oder wenn sie Peinliches auf meiner Facebook-Seite postet. Aber wäre ich wirklich mit einer Tante Anna besser dran? Oder, wenn ich an die von meiner Freundin Veronika denke: Die Mutter von der, die erlaubt fast alles, Fernsehen ohne Ende, abends ganz lange aufbleiben, teure Klamotten kaufen, und die Hausaufgaben macht sowieso der Hausaufgaben-Manager. Meine Mama ist viel, viel strenger. Trotzdem möchte ich nicht tauschen. Wahrscheinlich denkt jedes Kind mal, dass seine Mama die schrecklichste Mutter der Welt ist, aber wenn man stattdessen plötzlich so’ne Anna an der Backe hätte, würde einem das Lachen ganz schnell vergehen!

Lehrreiche Erkenntnis für Leser: Mamas sind erstaunlicherweise auch nur Menschen, die nicht aus ihrer Haut herauskönnen. Also Leute, nehmt Eure Mamas mit mehr Humor, die meisten geben sich ja Mühe. Und wenn’s euch so richtig stinkt, lasst ruhig mal so richtig Dampf ab und sagt’s euren Mamas! Auch wenn sie keine besonders tollen Schülerinnen in der WMVA waren – verbesserungswillig waren sie alle (vermutlich auch eure zuhause!).

Lucys Fazit: Ich mag ja sowie die Bücher von Sabine Ludwig sehr gerne: Ihre Figuren sind originell und wachsen einem ans Herz, ihre Geschichten spannend und lustig erzählt. Gerade dieses Buch ist passagenweise nicht nur aufgesprochen witzig, sondern hat bei aller satirischer Überspitzung einen sehr ernsthaften und wahren Kern, der zum Nachdenken und heißen Diskussionen anregt. Lucy sagt: Beide Daumen hoch!!

Lucys Gesamturteil: ☺ ☺ ☺ ☺ ☺

Die harten Fakten: oetinger Taschenbuch, 288 Seiten, zu haben für gut investierte 7,99 Euro

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